"Heilung ist nur möglich, wenn wir uns von falschen, ungesunden, krankmachenden Systemen trennen."
Ökumenischer Pilgertag in Fischbachtal, Sa., 04. Juli 2020
Ewas bang haben die Organisator:innen diesem Tag entgegengesehen:
kommen Viele oder Wenige oder gar Niemand? Ist das Hygienekonzept angemessen? Darf gesungen werden? Gibt es neue Einschränkungen?
Am Pilgertag selbst war das Aufatmen fast hörbar: alles passte, die Sorgen waren unnötig und das Beste war - es kamen viel mehr Gäste als erwartet.
Scheinbar gibt es hier eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und nach Naturerlebnis. Das zumindest ergaben dies Gespräche während des Pilgerns, die jedoch sicher nicht repräsentativ sind.
Bringt uns die Corona-Pandemie zum Nachdenken über den Wert von Gesundheit, über unser Verständnis von Krankheit und Heilung?
Zur Andacht in der St.-Jost-Kapelle am Beginn des Tages kamen ca. 55 Gäste.
In seiner Predigt hatte Pfarrer i.R. Werner Stoklossa als Predigttext die Heilung des besessenen Geraseners gewählt (Markus 5, 1-15).
Pfarrer Stoklossa stellte zu Beginn die Frage: „Der St.Jost-Pilgertag hat dieses Jahr das Thema: Gesundheit und Nachhaltigkeit. Bringt uns die Corona-Pandemie zum Nachdenken über den Wert von Gesundheit und über unser Verständnis von Krankheit und Heilung? Die eben geschilderte Krankheit und Heilung des Geraseners durch Jesus möge uns dabei helfen.
Da ist zunächst die Krankheitsdiagnose „Besessenheit“. Solche unmedizinische Beschreibung erscheint uns befremdlich, abergläubisch. Sie wurde von Menschen gebraucht, die keine Blutwerte, keine Hormon-spiegel, keine Gehirnströme messen konnten, aber beobachteten, dass ein Mensch „aus der Rolle“ fiel, nicht mehr seiner selbst mächtig war, unverständlich redete, aggressiv gegen Mitmenschen handelte und sogar sich selbst verletzte.
Der Corona-Virus hat uns alle wie ein „unreiner Geist“ überfallen. Auch MedizinerInnen hatten keine kompletten Erklärungen, konnten keine 100%igen Therapien verordnen; sie mussten das Virus erst kennenlernen. Regierungen, Gesundheitsämter ordneten in sogenannten Hotspots Quarantänemaßnahmen an.
Viele Menschen empfanden das als vernünftige Vorsicht, andere fühlten sich dadurch wie gefesselt oder eingesperrt. Wieder andere unterließen demonstrativ und provokativ die Schutzmaßnahmen – und schädigten z.T. sich selbst und andere. Es gibt einen Corona-Koller und einen Anti-Corona-Koller.
Besessenheit. Wenn jemand sich nicht bändigen lässt - sind das etwa auch wir? Wenn wir nicht ertragen können, das der nächste geplante Urlaub nicht stattfinden kann? Wenn wir Zahlenspiele betreiben, welche Altersgruppe weniger betroffen ist und daher weniger Beschränkungen hinnehmen will? Wenn wir „auf Teufel komm raus“ gefüllte Obst-, Gemüse- und Fleischregale im Supermarkt haben wollen – egal, von wem und unter welchen Bedingungen sie geerntet und beschafft werden? Schmeißen auch wir da Steine auf uns selbst? Die Corona-Pandemie führt uns einen umfassenderen Wahnwitz und Selbstschädigung durch unsere Lebensweise vor Augen. Wie kommen wir als Einzelne und als Gesellschaft wieder zur Besinnung, sodass wir ruhig und bei klarem Verstand sind?
Jesus stellt sich unbegriffenen Mächten und Kräften entgegen, indem er dem schreienden „Irren“ aus der Grabhöhle nicht ausweicht, sondern ihn nach seinem Namen fragt. Die Antwort: „Legion“, die der Wirre herausschreit, hat keinen Sinn, außer dass es die Bezeichnung der römischen Besatzungsmacht vor der Haustür Gerasas ist. Jesus will aber durch die schlimmen, bedrückenden Zustände der Gesellschaft zu dem Menschen vordringen, der leidet und der von dem Druck befreit werden will – auch wenn er es abwehrt.
Das bringt den als Irren abgestempelten Menschen in eine Zerreißprobe: Will er geheilt werden? Will er überhaupt unter die sogenannten „Normalen“ wieder zurück? Hat er sich in seinen Wahnvorstellungen, in seinen Ticks nicht eingerichtet – schlecht zwar, aber er wird in Ruhe gelassen, weil er Horror erregt.
Heilung ist nur möglich, wenn wir uns von falschen, ungesunden, krankmachenden Systemen trennen.
Liebe Pilgergemeinde! Auch unser Wunsch nach Heilung und Gesundheit muss Widerstände überwinden, Widerstände gegen notwendige Veränderungen. Was ist uns die Gesundung und Heilung unserer Gesellschaft, unserer Menschengemeinschaft wert?
Die Heilungsgeschichte beschreibt drastisch eine „Ausfahrt des unreinen Geists“ in eine Schweineherde, die sich einen Abgrund hinunter zu Tode stürzt. Die Schweinebesitzer protestieren: der Heiler zerstört ihr Fleischgeschäft! Er soll bloß verschwinden! Die Heilung des Geraseners, der symptomatisch für die Bevölkerung von der „Legion“ fremdbestimmt und besetzt ist, kann nur erfolgen, wenn das „Schweinesystems“ aufgegeben wird.
Und wir heute? In der Corona-Pandemie? Heilung ist nur möglich, wenn wir uns von falschen, ungesunden, krankmachenden Systemen trennen. Was stürzt da bei uns ab? Ein irres System der Überproduktion von Lebensmitteln, Konsumwaren, Luxusansprüchen, Zeit-Totschlag-Maschinen. Ein System, dass himmelschreiende Ungleichheit erzeugt und verfestigt.
In solche Produktion werden wir Menschen hineingedrängt und hineingezwängt, wo wir vielleicht viel bessere Ideen, Talente, Werte einbringen und verwirklichen könnten und wollten: Zukunftsträchtiges, Lebenswertes, was das ganze Jahr über Befriedigung schafft, so dass man nicht für 14 Tage „Urlaub“ in eine exotische Welt flüchten muss. Lebenswertes, was unseren Kindern und Kindeskindern ein Weiterleben auf dieser Erde möglich lässt.
„Lass es los, was dich verrückt macht!“ sagt Jesus. „Komm setz dich zu uns, nimm hier diese Hose, dieses Hemd. Lass uns reden. Du gehörst mit dazu!“
"Die Einwohner kamen zu Jesus und sahen bei ihm den Mann, der vom Dämon „Legion“ besessen gewesen war. Er saß da, ordentlich angezogen und bei klarem Verstand"
Mit diesem Bibelvers endete die Predigt.
Solchermaßen ausgestattet mit Fragen und Thesen aus der Predigt von Pfarrer Stoklossa ging die Gemeinschaft der Pilger und Pilgerinnen auf ihren Weg.
Nachdenklich in die Stille
48 Personen machten sich an diesem Tag gemeinsam auf die lange Wanderung. Dabei ist die erste Etappe von der Jost-Kapelle zu den 12 Aposteln mit der Aufgabe versehen, still zu sein, zu schweigen, nur im Gespräch mit sich selbst oder Gott oder einem anderen inneren Partner. Das ist erstaunlich herausfordernd: wir merken, wie oft der innere Impuls entsteht, etwas mit der Nachbarin zu teilen - mitzuteilen. Aber so blieb Zeit, über die Predigt zu reflektieren oder andere Betrachtungen anzustellen - ohne zu reden.
Nur aus der Ferne tönten noch die Klänge des Posaunenchores, der die Andacht und den Beginn der Wanderung musikalisch begleitete.
Wandern und Zuhören und Reden
Es ist Tradition, dass die Gruppe nach etwas Wegstrecke rastet und dabei vorbereitete "Impulse" empfängt. Diese Impulse können Wortbeiträge, Gedichte, Lieder, Übungen oder Geschichten sein.
Bei den 12 Aposteln berichtete Konrad Bihrer über ganz persönliche Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem und stellte dessen Profitorientierung kritisch in Frage.
Wibke und Thorsten Schrader sprachen auf dem Rimdidim über den Wert der Gesundheit und luden die Gäste zu einfachen, wirkungsvollen Atemübungen ein.
An der Schneckenkapelle war die Mittagsrast und Pfarrer Simon Körber regte mit seinen Ausführungen zum Tagesmotto "Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch." zum Nachdenken an.
Die kleine Quelle beim Lichtenberger Brunnen, die später zum Bach und zum Fluß und Strom werden will, inspirierte Dekan Joachim Meyer zu Ausführungen über die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen.
Anette und Arno Claar-Kreh brachten bei der nächsten Rast den Pilger:innen mit einer einfachen Geschichte für Kinder das Thema "Vertrauen" näher.
Die Schlosskapelle in Lichtenberg ist regelmäßig Station auf dem Weg. Diesmal erfuhren die Wandernden etwas zur Geschichte der Kapelle.
Manche dieser Impulse gaben Anlass zur Diskussion und für Gespräche im Gehen.
Pünktlich mit dem 17-Uhr-Glockengeläut der Johannes-der-Täufer-Kirche in Niedernhausen endete dieser schöne Pilgertag: viele Pilger:innen, bestes Wetter, wichtge Anregungen waren die wesentlichen Zutaten.
Dies war unsere Einladung:
13. Ökumenischer Pilgertag
"Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch."
Sa., 04. Juli 2020 von 10:00 bis ca. 17:30 Uhr, Start an der St.-Jost-Kapelle bei Niedernhausen
Der Pilgertag beginnt um 10 Uhr an der St.-Jost-Kapelle mit einer Andacht. Anschließend wandert die Gruppe auf dem St.-Jost-Pilgerweg zum Rimdidim, dann über Steinau nach Billings und nach der Mittagsrast und einem Stop im Schloss Lichtenberg nach Niedernhausen. Hier endet der Pilgertag gegen 17:30 Uhr mit einer Andacht in der St.-Johannes-der-Täufer-Kirche.
Der Während des Gehens (ca. 17 km) und an verschiedenen Stationen werden manchmal Lieder gesungen, genauso wird es aber auch Zeiten des Schweigens und des Redens geben. An den Stationen selbst sollen spirituelle Impulse, die das Thema "Gesundheit und Nachhaltigkeit" beleuchten, als Anregung zum Nachdenken und Diskutieren dienen. Dabei wird das Motto "Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch." aus Matthäus 10,8 auch einladen, über unser aktuelles Gesundheitssystem zu sprechen.
Der Ökumenische Pilgertag ist ein gemeinsames Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Fischbachtal, der Katholischen Pfarrgruppe Reinheim / Groß-Bieberau, der Gemeinde Fischbachtal und des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald.
Anreise und Versorgung:
Anreise mit dem Bus:
Die Buslinien NH von Darmstadt und MO2 von Reinheim oder Brandau fahren nach Niedernhausen.
Hier findest du deine Verbindung zum Pilgerweg in Richtung Kapelle: www.rmv.de/auskunft/...
Gegenüber der Sparkasse (Darmstädter Straße 21) ist ein hölzerner Pfeilwegweiser zur St.-Jost-Kapelle und der Weg ist ab dort mit dem Zeichen J1 gut markiert. Von hier geht man ca. 20 Minuten zu Fuß zur Kapelle.
Anreise mit dem PKW:
Die Zufahrt in den Wald zur Kapelle ist für Fahrzeuge gesperrt.
Bitte parken Sie bei Bedarf in Niedernhausen (nicht auf den Gehwegen) und kommen Sie zu Fuß zur Kapelle (ca. 20 Minuten Fußweg).
Bekleidung und Verpflegung:
Der Weg geht überwiegend auf befestigten Wald- und Feldwegen oder kleinen Pfaden. Festes Schuhwerk und bei Bedarf ein Regenschutz wird empfohlen.
Mittags ist eine etwas längere Rast bei der Schneckenkapelle in Billings. Jeder bringt sein Essen und seine Getränke selbst im Rucksack mit.
Es wird gebeten, Mund-Nasenschutz mitzubringen sowie die geltenden Abstandsregeln zu beachten.
Mehr Informationen zum Pilgerweg St. Jost: https://st-jost.fischbachtal.de/