Umdenken gefragt: Organisation und Marketing entscheiden über Erfolg von nachhaltigen Konzepten
Montag, 09. Mai 2016, Infoabend mit Dieter Popp zum Thema "Nachhaltigkeit in Tourismus und Gastronomie"
Der gebürtige Bensheimer Dieter Popp ist schon viel herum gekommen in den Urlaubsregionen Deutschlands. Aufgrund seiner beruflichen Laufbahn in verschiedenen Unternehmen und Organisationen, die sich mit der Vermarktung von touristischen und gastronomischen Dienstleistungen befassen, kann er auf einen breiten Erfahrungsschatz zugreifen und kennt die aktuellen Trends sehr genau.
Nach der Vorstellung des Referenten durch Stephan Kühn vom Team Fischbachtal kreativ, zeigte Dieter Popp den Zuhörern diese Trends detailliert auf: So machen beispielsweise rund 37 Prozent der Deutschen Urlaub im eigenen Land – mit zunehmender Tendenz, besonders vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen und zunehmender Konflikte in ehemals beliebten Reisezielen. Und eine intakte Natur, Regionalität und Nachhaltigkeit sind mittlerweile wichtige Faktoren, die das Reisen im eigenen Land zum Erlebnis machen und den privaten Konsum mit gutem Gewissen unterstützen. Allerdings gibt es auch große Diskrepanzen zwischen dem Anspruch der Konsumenten und der Realität: Zwar findet ein Großteil der Deutschen Fairtrade-Produkte, regionale Küche und Klimaneutralität bei einer Urlaubsunterkunft gut, hat selbst aber oft noch keine solchen Produkte gekauft, konsumiert oder ein solches Hotel gebucht. Und wenn doch, dann waren diese Kriterien häufig nicht der ausschlaggebende Grund. Die Gründe hierfür sind sicherlich auch auf der Angebotsseite zu suchen: zwar bieten rund 50 Prozent der Gastronomen in ländlichen Regionen regionale Speisen und Produkte an, aber nur ein sehr kleiner Teil vermarktet diese Regionalität auch gezielt, z.B. ganz simpel auf der Speisekarte oder im eigenen Prospekt.
Die Kraft der Regionen
Popp sieht den großen Vorteil von Regionalität aber nicht nur in der Reaktion auf den aktuellen, langfristigen Trend, sondern vor allem auch als Schutzmaßnahme für die hiesigen Kulturlandschaften: Denn der Konsum von regionalen Produkten unterstützt die heimische Landwirtschaft und deren gezielte Vermarktung kann die Nutzung und Pflege der kleinteiligen, abwechslungsreichen Flächen, die das Urlauberauge so erfreuen, so richtig rentabel machen.
Ein entscheidendes Defizit, insbesondere auch für den hiesigen Odenwald, sieht er aber in der zielgerichteten Vermarktung sowohl auf Ebene einzelner Unternehmen als auch der gesamten Region. Zu selten wagen es Gastronomen und Hotelliers, sich von der Masse abzuheben, eigene Wege zu gehen und sich selbst ehrgeizige Ziele zu stecken. Dabei sind es gerade die kreativen, neuen Ideen auf Basis althergebrachter Traditionen, die - richtig und langfristig umgesetzt - zum Erfolg führen. So berichtet er zum Beispiel vom Eichelschwein® aus Unterfranken, das mittlerweile als eines der besten Schweinefleische Deutschlands gerühmt wird und entstand, weil sich eine Gruppe von Bauern auf die alte Tradition in seiner Region besann, die Schweine im Herbst in die Wälder zu treiben und dort mit den herabgefallenen Eicheln bis zur Schlachtreife zu mästen – Abnehmer für sein Fleisch gab es nach nur kurzer Zeit mehr als genug.
Gastronomen sollten gemäß Popp ihre Ansprüche an die Produkte auch selbst klar definieren, statt das zu nehmen, was ihnen der Markt gerade bietet. Denn so können beide profitieren, der Gastronom durch bessere Qualität und einen lückenlosen, glaubwürdigen Herkunftsnachweis sowie auch die beteiligten Landwirte, die durch die gezielte Produktion eine sichere Abnehmerstruktur zu einem besseren Verdienst etablieren können. Denn der Konsument ist in aller Regel bereit, einen höheren Preis für mehr Regionalität und Qualität zu bezahlen.
In der anschließenden ausgiebigen Diskussion wurde aber auch deutlich, dass es einer übergeordneten Organisation bzw. Führung bedarf, die das Regionalmarketing vorantreibt und die hiesigen Betriebe unterstützt, um so die Beliebtheit der Region Odenwald, zu der das Fischbachtal klar gezählt werden kann, im Ganzen nachhaltig zu steigern. Hier gibt es noch Aufholbedarf, insbesondere in der Zusammenarbeit der verschiedenen Landkreise, über die sich der Odenwald erstreckt, auch um eine gemeinsame Identität für "DEN Odenwälder" und seine traditionellen Produkte wie "Grindkopp" und "Kochkäs" zu etablieren.
Stephan Kühn dankte am Ende des Abends Dieter Popp für sein Engagement und seine aufschlussreiche Darstellung der Fakten und Zusammenhänge, die – individuell interpretiert und richtig angepackt – uns als Fischbachtalern und Odenwäldern viele Chancen für die Zukunft bieten.
Mehr Informationen
- Der Praxisleitfaden "Nachhaltigkeit im Deutschlandtourismus: Anforderungen, Empfehlungen, Umsetzungshilfen" des Deutschen Tourismusverbandes stellt 40 Kriterien aus acht Handlungsfeldern vor, die ökologische, ökonomische und auch soziale Aspekte berücksichtigen. Der Leitfaden kann auf der Seite des BMUB heruntergeladen werden.
- Der Ratgeber "Faszination Natur erlebbar machen" richtet sich an die Verantwortlichen der Naturparke, Nationalparke und UNESCO-Biosphärenreservate und ihre touristischen Partner wie Gaststätten und Hotels. Der Verband Deutscher Naturparke e. V. und EUROPARC Deutschland e. V. geben mit dem Wegweiser Empfehlungen an die Hand, wie sich interessante Naturerlebnisangebote konzipieren lassen und wie man die Zusammenarbeit zwischen Schutzgebieten und regionalen Partnern verbessern kann. Der Ratgeber kann auf der Seite des BMUB heruntergeladen werden.
- "Frisch und Lecker im Landkreis Darmstadt-Dieburg: Einkaufs- und Gastronomieführer 2016" mit ADressen von Direktvermarktern, Gastronomen mit regionalen Angeboten und Wochenmärkten
- Touristische Angebote in unserer Region: www.tourismus-odenwald.de
- Fischbachtals Visitenkarte für Gäste: www.fischbachtal.de/gaeste/
- FUTOUR - Die Umsetzungsberatung für Tourismus und Regionalentwicklung: http://futour.com/de
Das war unsere Einladung:
Nachhaltigkeit in Tourismus und Gastronomie
Infoabend | Bürgerhaus Niedernhausen, Kleiner Saal | Mo., 09.05.2016, 20:15 Uhr
Über die Gastronomie kann Nachhaltigkeit gut, über den Tourismus sogar sehr gut kommuniziert und – was noch wichtiger ist – gelebt werden.
Tourismus - sieht man einmal vom Städte- und Kulturtourismus ab - hat in Deutschland in der Regel etwas mit der Attraktivität von Kulturlandschaften zu tun. Und da spielt es keine Rolle, ob es sich um Hochgebirge, Mittelgebirge, Tieflagen oder Küsten handelt. Immer steigt die wahrgenommene Attraktivität dieser Urlaubslandschaften mit dem Grad ihrer Vielfältigkeit und damit der Biodiversität. Auch wenn dies von vielen Menschen – Bewohnern oder Gästen - oft nicht bewusst wahrgenommen wird.
Unangefochten an der Spitze der Motive für mitteleuropäische Urlauber liegen Landschaftserlebnisse, Wandern in ungestörter Natur oder Sport in beeindruckenden Landschaftskulissen wie den Alpen, den strukturreichen Mittelgebirgen oder an unverbauten Küstenabschnitten. Das Bild oben auf dieser Seite symbolisiert genau diese Erwartung, eine vielfältige und unbelastete Kulturlandschaft.
Aber auch der Nationalparktourismus boomt und die Gäste setzen ein Nachhaltigkeitslabel voraus, sie suchen es gar nicht mehr gezielt.
In der Gastronomie ist diese zarte Pflanze der Nachhaltigkeit am Ende der 80er Jahre entstanden und hat sich bis heute zu einem dynamischen Boom entwickelt. Authentizität und Regionalität werden von den Gästen erwartet, wer auf dem Niveau der Speisekarten der 70er und 80er Jahre mit Schnitzelparaden, großen Portionen, kaum oder gar keinen fleischfreien Gerichten und am Ende noch mit dem damaligen Klassiker „Toast Hawaii“ stehen geblieben ist, hat längst aufgegeben oder besitzt keine Zukunft mehr. Die Gäste wollen heute nicht nur wissen wo die Produkte her sind, sie wollen auch wissen unter welchen Bedingungen sie erzeugt wurden. Hessen zählte hier einmal mit „Hessen a la carte“ zu den Vorreitern, aber das Land hat den Weg anderer Destinationen zu eindeutig erlebbaren Genussregionen mit glaubwürdiger Nachhaltigkeit leider nicht konsequent beschritten. Dabei zählt der Odenwald zu den ganz wenigen hessischen Regionen, in denen dieser Ansatz realisierbar wäre.
Diese und mehr Informationen und Thesen werden uns genauer vorgestellt, damit wir anschließend gemeinsam darüber diskutieren können.
Als Referenten konnten wir Herrn Dieter Popp gewinnen.
Dieter Popp stammt aus dem Odenwald und ist Dipl.-Forstingenieur mit der Zusatzqualifikation „Ökologische Umweltsicherung". Nach mehrjähriger Tätigkeit in Naturschutzbehörden auf der Unteren, Oberen und Obersten Ebene des Landes Hessen war Herr Popp Geschäftsführer zweier Naturparke, bei Naturschutzorganisationen in Bayern und Hessen sowie Geschäftsführer der Trägerorganisation des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön.
Seit 1996 ist er Gesellschafter der FUTOUR Umwelt-, Tourismus- und Regionalberatung GmbH & Co. KG mit einem Projektbüro im Rheingau/Hessen. Von 2009 bis 2012 arbeitete er für das Regionalmanagement im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen und seit 2013 leitet er die FUTOUR Regionalberatung Haundorf.
Seine Schwerpunkte sind u.a. Natur- und Kulturlandschaftsentwicklung, Regionalentwicklung, Regionalmanagement, Genuss-Regionen und Kulinarik, Markenentwicklung sowie der Themenkreis Nationalparke/ Naturparke/ Biosphärengebiete/ Regionalparke.