Detail am Waldboden - Foto Stephan Kühn

Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Vortrag und Diskussion mit Prof. em. Dr. Manfred Kluge  |  26.09.2024

Haben Pflanzen ein Bewusstsein? Haben Bäume Gefühle? Versorgen sie tatsächlich ihren Nachwuchs? Wissenschaftlich fundierte Antworten auf diese Fragen erhielten die rd. 40 Gäste bei einem Vortrag von Prof. em. Dr. Manfred Kluge, emeritierter Inhaber eines Lehrstuhls für Botanik an der Technischen Universität Darmstadt.

In seiner Begrüßung stimmte Laurenz Pries am Beispiel des bei uns vorkommenden Aronstabs auf die faszinierende Pflanzenwelt ein: Diese Pflanze lockt Fliegen mit Aasgeruch an. Äußerst glatte, ölhaltige Wände und ein Reusen-Haarkranz verhindern ein Entweichen. Versorgt mit Nektar und Wärme, die die Pflanze im Kolben erzeugen kann, bleiben die Fliegen bis zur Bestäubung im Blütenkelch gefangen. Erst dann verwelken Blütenblatt und der Reusenkranz und die mit Pollen eingepuderte Fliege wird entlassen. Weil es so schön war, wird meist gleich die nächste Pflanze angeflogen.
Die staunenden Fragen wie etwa: „weiß“ die Pflanze, dass Fliegen auf Aasgeruch stehen? „Weiß“ sie, dass Wärme hilft, flüchtige Aromen schneller freizusetzen? Konnte Herr Prof. Dr. Kluge aus dem Stehgreif beantworten und sogar die beteiligten chemischen Stoffe benennen. Mit „Wissen“ und geplantem Handeln habe das wenig zu tun. Und damit leitete er über zu seinem Vortrag.

Bewusstsein?

„Pflanzen umsorgen ihren Nachwuchs, sie haben Empfindungen, Gefühle, ein Gedächtnis.“ Mit diesem Zitat von Peter Wohlleben, Buchautor und Förster, stieg Prof. Dr. Kluge dann in die Thematik ein. Doch zunächst einmal gilt es zu klären, was ist Bewusstsein überhaupt? Eine gültige Definition dieses Begriffes ist kaum möglich, da es nicht messbar ist. Man unterscheidet verschiedene Arten von Bewusstsein, so Prof. Dr. Kluge., z. B. das phänomenale Bewusstsein, bei dem Reize nicht nur aufgenommen, sondern auch zu Gefühlen verarbeitet werden. So wird z. B. das Licht des Sonnenaufgangs in ein Gemälde transformiert oder Naturempfindungen werden in Gedichten wiedergegeben. Zugriffsbewusstsein bedeutet, dass ein Lebewesen systematisch denken kann. Beim gedanklichen Bewusstsein, fragt sich ein Lebewesen, wie es seinem Gegenüber helfen kann und beim Individualitätsbewusstsein ist sich das Lebewesen seiner Einzigartigkeit bewusst. All dies zeigt: Für Bewusstsein ist ein komplexes neuronales Netzwerk nötig. Das Grundelement eines neuronalen Netzwerks ist die Nervenzelle - doch Pflanzen haben keine Nervenzellen. Damit wären die Aussagen von Peter Wohlleben eigentlich schon widerlegt, aber Prof. Dr. Kluge wollte aufzeigen, was hinter dessen Behauptungen und Beobachtungen steckt.

Am Beispiel eines Fotos von einem Buchenwald - „Kinderstube“ mit Ammenbäumen - verdeutlichte er, wie die alten Buchenüberhälter den Jungpflanzen Schutz vor Wind, Stress und Temperaturschwankungen bieten und zugleich ein Stoffaustausch im Wurzelbereich stattfindet. Mykorrhiza nennt man dieses Phänomen, bei dem Pilz und Pflanzenwurzeln in einer Symbiose leben und das bei fast allen Landpflanzen vorkommt. Eine Symbiose kann man als „Arbeitsgemeinschaft mit gegenseitigem Nutzen“ (Mutualismus) bezeichnen – aber nicht als Resultat von Nächstenliebe, wie es Peter Wohlleben darstellt. Die Pflanze liefert hierbei dem Pilz energiereiche Produkte aus der Photosynthese, vor allem Zucker, der Pilz versorgt die Pflanze mit Wasser und darin gelösten Nährsalzen, z.B. Phosphat oder Nitrat. „Ein knallhartes Geschäft“, so Prof. Dr. Kluge, „gibst du mir, geb ich dir.“ Die Mykorrhizapilze vergrößern den Einzugsbereich der Wurzeln und vernetzen die Pflanzen eines Standorts miteinander, was bedeutet, dass bei Eingriffen im Wald Auswirkungen auf den gesamten Bestand entstehen und dieser daher immer als Gesamtorganismus betrachtet werden muss.

Empfindungen?

Haben Pflanzen Empfindungen und Gefühle? Auch auf diese Frage hatte Prof. Dr. Kluge Antworten parat. Tatsächlich können Pflanzen äußere Reize wahrnehmen. Sie wachsen z. B. immer zum Licht hin oder reagieren auf mechanische Reize, wie die Venus-Fliegenfalle oder die Mimose, deren Blätter bei Reizen zusammenklappen. Hierbei handelt es sich um eine elektrische Signalübertragung. Auch über eine Art Gedächtnis verfügen Pflanzen, wie z.B. anhand von Versuchen mit Grünalgen nachgewiesen wurde, und sie kommunizieren auch miteinander. Doch dies sind biochemische Prozesse, bei denen stoffliche Signale ausgetauscht werden. So können Pflanzen beispielsweise mit Duftstoffen kommunizieren, wie Prof. Dr. Kluge am Beispiel von Akazien in der afrikanischen Savanne erläuterte. Diese werden von Giraffen beweidet, deren Speichel bei den Akazien einen Prozess in Gang setzt, bei dem der gasförmige Stoff Ethen gebildet wird. Über den Wind wird dieser zu den benachbarten Akazien transportiert, die daraufhin sofort Bitterstoffe in ihren Blättern synthetisieren und damit die Giraffen vom Fressen abhalten. Inzwischen grasen die schlauen Giraffen schon gegen den Wind. Diese Kommunikation zwischen Pflanzen ist jedoch kein Beleg für Fürsorglichkeit, sondern es handelt sich um biochemische Prozesse, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben.

Fazit

Viele Lebensäußerungen der Pflanzen mögen auf den ersten Blick menschlichem Verhalten ähneln, tatsächlich haben sie aber mit Bewusstsein nichts zu tun, betonte Prof. Dr. Kluge in seinem abschließenden Fazit. Die Pflanzenwelt hat Vermenschlichung nicht nötig. Sie ist auch ohne sie faszinierend genug und verdient einen behutsamen und respektvollen Umgang.

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Fragerunde an. Von der Pilzzucht über Flechten  - eine Symbiose von Pilz und Alge – bis hin zur Frage, ob Pflanzen auf Musik reagieren – sämtliche Fragen wurden von Prof. Dr. Kluge anschaulich und mit viel Fachwissen beantwortet.

Hier ist unsere Einladung:

Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Vortrag und Diskussion mit Prof. em. Dr. Manfred Kluge |  Donnerstag, 26.09.2024 um 19:00 Uhr  |  Landgasthof Brunnenwirt, Darmstädter Straße 47-49, 64405 Fischbachtal

Haben Bäume Gefühle? Haben sie ein Gedächtnis? Versorgen sie tatsächlich ihren Nachwuchs?
In den Medien wird häufig ein vermenschlichtes und romantisiertes Bild der Natur gezeichnet. Wie sieht das die Wissenschaft? Brauchen wir solche Vermenschlichung? Welche Gründe könnte es sonst noch dafür geben?
Wir freuen uns auf einen Vortrag mit anschließender Diskussion.

Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
 

Prof. em. Dr. Manfred Kluge, emeritierter Inhaber eines Lehrstuhls für Botanik am Fachbereich Biologie der Technischen Universität Darmstadt, war über 40 Jahre in Lehre und Forschung aktiv. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Co-Autor zweier Lehrbücher der Botanik.  Er hatte Forschungs- und Lehraufenthalte in Frankreich und Übersee. Sein Forschungsgebiet waren die biochemischen und biophysikalischen Grundlagen ökologischer Anpassung von Pflanzen an extreme Umweltbedingungen.
 

Wo ist das Gasthaus Brunnenwirt?

In der Nähe des Gasthauses (ca. 250 m nördlich davon) ist die Bushaltestelle "Fischbachtal-Niedernhausen Schnurrgasse".
Hier geht es zur Fahrplanauskunft des RMV.

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